Jordanien „zum Ersten“

Im Jahr 1996 verbrachte ich einige Monate dienstlich in Jordanien. In der Hauptstadt Amman sollte ein Zentrallager für ein großes Telekommunikationsprojekt von SIEMENS aufgebaut werden.



Zu dieser Zeit war Amman noch ganz anders als 30 Jahre später. Von den großen Hotels und Hochhäusern war noch keine Spur zu sehen. Gelebt haben wir zuerst in einem einfachen Hotel am Stadtrand und später dann in einem Monteur-Apartment-Haus näher am Zentrum. Hier konnten wir wenigstens etwas einkaufen und die restlichen Wege waren auch kürzer.
1998 und 1999 durfte ich wegen einer Optimierung der Logistikprozesse wieder einige Monate in diesem tollen Land verbringen. Diesmal wurde mir mit einem Kollegen zusammen eine exklusive „Wohnung“ zugewiesen, in der wir Platz für eine Großfamilie mit allem Drin und Dran fanden.

Die Uhr

1996 habe ich allerdings meine tolle TIMEX-Daten-Uhr irgendwo im Lande verloren. Diese war damals „State-Of-The-Art“ und konnte Adressen, Termine und Telefonnummern via „Bildschirmflackern“ vom PC übernehmen. Deshalb war ich auch sehr traurig über diesen Verlust.



Eine ganz große Überraschung erwartete mich beim Eintreffen in unserem SIEMENS -Office. Gleich am Empfang wurde ich mit einer kleinen Schachtel begrüßt. Darin befand sich: meine TIMEX-Uhr, die ich zwei Jahre vorher verloren hatte. Jemand hatte diese gefunden und darauf erkannt, dass viele SIEMENS-Nummern eingespeichert waren. Also hat er dort angerufen und kurz darauf die Uhr gebracht.
Leider habe ich niemals etwas über den ehrlichen Finder erfahren und mich persönlich bei ihm bedanken können.

Erste freie Fahrtstunde

Wer arabische Straßenzustände und Fahrgewohnheiten kennt, weiß, was man sich darunter auch in Jordanien vorstellen kann. Prinzipiell sind viel zu viele Autos unterwegs und die Infrastruktur nicht wirklich für entspanntes Fahren ausgelegt. Nur soviel sei gesagt: Die Hupe ist das wichtigste Instrument, um sich irgendwie fortbewegen zu können. Dabei sind die Fahrer typisch tiefenentspannt und richtiges Drängeln oder Stress gibt es in Wirklichkeit nicht. Für Außenstehende mag das Chaos zwar anders aussehen, aber durch das Einhalten vom überall bekannten Paragrafen 1 „Vorsicht und Rücksichtnahme“ kommt es kaum zu echten Unfällen.



Das Überqueren einer dich befahrenen Hauptstraße in der Innenstadt ist für den „gemeinen Europäer“ nicht so einfach. Dabei muss man nur einfach einen Schritt auf die Straße machen und die freundlichen Fahrzeugführer halten (lächelnd und ohne Hupen!) an und man kann die Straße problemlos überqueren.
Auch das Ausparken aus einer Parklücke dürfte für ungeübte ziemlich problematisch erscheinen. Blinker setzen und zusätzlich die Hand aus dem Fenster halten, und schon stoppt der Verkehr und man kann ohne weiteres auch gleich auf die ganz linke von mehreren Fahrspuren auffahren.
Dass alle Aktionen von wildem Gehupe begleitet wird, ist einfach nur ein Zeichen, dass man noch am Leben ist. Wir sind auch schon auf freier Piste mit viel Hupen unterwegs gewesen und hatten dabei sehr viel Spaß.
Nachdem ich endlich meinen jordanischen Führerschein und auch ein ordentliches Firmenfahrzeug hatte, wollte ich beides gerne ausprobieren. Also wurde am Freitag, welches „unserem“ Sonntag entspricht, das Auto gestartet und in der Hoffnung auf relativ freie Straßen in Richtung Amman gelenkt.
Auf der ersten größeren Hauptstraße in der City zeigte die Ampel rot und ich hielt ordnungsgemäß an. Und das, obwohl weit und breit kein anderes Auto unterwegs war. Ich bin schließlich Deutscher und halte mich an Gesetze und Vorschriften.
Kaum zum Stehen gekommen ging, begleitet von einem dumpfen, aber lautem Knall ein Ruck durch meinen Pickup. Also Warnblinker an und mal gucken, was da los war.



Hinter meinem Auto stand ein wunderschöner Daimler mit einer Großfamilie an Bord. Na ja, wunderschön war dieser nur noch von der Frontscheibe an nach hinten. Alles, was sich davor befand, machte einen eher „unschönen“ und „etwas zerknitterten“ Eindruck. Ich konnte es mir nicht wirklich erklären, da an meiner Stoßstange (ein fettes Stahlrohr!) nicht viel Schaden zu erkennen war.



Der Daimler muss aber schon mit etwas Dampf aufgefahren sein, da seine Front doch ziemlich deformiert war.



Jetzt habe ich natürlich großes Theater und Katastrophe erwartet, war ich Depp doch wohl eindeutig Schuld an diesem Desaster gewesen bin. Wie konnte ich denn auch bei freien Straßen an einer roten Ampel anhalten? Da muss man doch einfach auffahren!
Allerdings kam nun wieder die Tiefenentspanntheit der Araber zur Geltung.
Der gute Mann hatte natürlich vollstes Verständnis, dass ein Deutscher solche „Gepflogenheiten“ nicht kennen kann. Und das auch noch auf der ersten „Freifahrt“.
Also wurden bald darauf alle Hände geschüttelt und ich zum Abendessen bei der Familie eingeladen.
Jetzt stellt euch bitte sowas in Deutschland vor!
In der Folgezeit blieb ich aber von Unfällen jeder Art verschont, obwohl wir das Land von Nord bis Süd erkundet haben.

Zeit kostet nichts

1996 packten wir im schönen Oberfranken mit dem „Restmaterial“ aus dem SIEMENS-TurnKey-Projekt „Aufbau Ost“ in 16 große Überseecontainer. Diese wurden dann nach Jordanien verschifft, wo ich diese in Empfang nehmen sollte. Im neu errichteten Zentrallager wurden dann alle diese Container entladen und das Material später in Jordanien verbaut.



An einem schönen Freitag kam das Containerschiff auch in Akaba an, und es wurden diverse Trucks losgeschickt, um diese ins dreihundertfünfzig Kilometer entfernte Amman zu transportieren. Telefonisch erfuhren wir auch, dass einige LKW auch am Samstagvormittag gestartet waren. Also machten wir es uns am Nachmittag am Zentrallager gemütlich und es begann das große Warten. Das Grinsen in den Gesichtern meiner arabischen Kollegen ist mir da noch gar nicht bewusst gewesen.
Als es dann dunkel wurde, brachen wir den ersten Warteversuch ab, da niemand gerne im Dunkeln unterwegs sein möchte.
Am Sonntagmittag startete der zweite Warteversuch. Schließlich sind dreihundertfünfzig Kilometer auch für beladene Trucks keine unüberwindbare Strecke. Gegen Abend wurde ich aber dann doch unruhig.
Auf meine Frage, wann denn endlich und wirklich mit der Ankunft zu rechnen ist, sagten die Araber lediglich „inshallah Bukra, munkin BaBukra“ (so Gott will morgen, vielleicht aber auch übermorgen).
Da guckt man erstmal doof. Schließlich ist Zeit Geld. Als ich das dann den Kollegen versuchte klarzumachen, schauten sie ziemlich ungläubig und fragten dann „wie viel?“. Wenn der Sensenmann kommt, wie viel muss man ihm für eine „Verlängerung“ bezahlen?
Darauf hatte ich natürlich keine Antwort. Ergo kostet Zeit NICHTS! Sie ist allerdings kostbar! Und das zeigten sie, indem wir die nächste Wasserpfeife anzündeten, den einen oder anderen frischen Tee zu uns nahmen und uns lange Zeit unterhielten oder einfach gemeinsam den Pflanzen beim Wachsen zusahen.



Am Montagnachmittag trafen dann auch tatsächlich die ersten Trucks in Amman ein.
Einer Erklärung für die „Verspätung“ hatten sie auch dabei: Eine Cousine der Fahrer wohnt „an der Piste“ und hat geheiratet. Da mussten alle Trucker vom Konvoi natürlich hinfahren und an der großen Feier teilnehmen. Die Erde hat sich schließlich währenddessen weitergedreht und ZEIT IST KOSTBAR!!!
Dieses hat mich für mein weiteres Leben geprägt und ich versuche das Motto „Zeit kostet nichts!“ immer wieder selbst zu leben.

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