OFF-ROAD: GUS 1993

1993 richtete die Zeitschrift „Off-Road“ zwei tolle Touren durch die ehemalige Sowjetunion aus.
Die eine führte sechs Wochen bis hinter den Ural, also bis an die europäische Ostgrenze.
An der nur“ vier-Wochen-Tour durfte ich als Scout teilnehmen. Ich hatte kein eigenes Fahrzeug, war aber jung, Off-Road-begeistert und abenteuerlustig. Da ich in der Schule ganz gut Russisch gelernt hatte, durfte ich als Helfer und „Mädchen für alles“ in einem der vielen 4×4-Fahrzeuge kostenlos mitfahren. Offiziell kostete die Teilnahme an der Reise zwischen 5.000 bis 10.000DM!
Dafür musste ich als „Scout“ allerdings morgens als „erster“ aufstehen und für ein aufgeräumtes Camp und die Frühstücksversorgung sorgen, sowie das Camp nach dem Frühstück „abbauen“.

Camp in den Karpaten

Abends ging es dann in der anderen Richtung weiter: Camp aufbauen und für die „Verpflegung“ sorgen, bis der letzte „Gast“ in seinem Zelt verschwunden war. Dies konnte schon gerne mal bis in die frühen Morgenstunden dauern. Tagsüber wurden dann Stunde über Stunde Kilometer gefressen, sodass die vier Wochen und 10.000 Kilometer wahrlich kein Urlaub gewesen sind.
Die Gruppe bestand aus circa 40 Geländewagen. Da war vom Suzuki 413 bis zur G-Klasse war alles in verschiedenen Altersklassen vertreten. Zusätzlich waren noch vier große TATRA-LKW aus der Paris-Dakar-Truppe als Versorgungsfahrzeuge unterwegs.



Auf diesen waren unter anderem 10.000 Liter Benzin, 10.000 Liter Diesel, jede Menge Ersatzreifen und -Teile, 10.000 Dosen Warsteiner, 5.000 Dosen Coca-Cola, 5.000 Sprite und weiter 5.000 Dosen Bon Aqua geladen. Außerdem war eine Reifenwerkstatt inklusive Reifenwechsel- und Wuchtmaschine, viele Biertische und Bierbänke, tausende Dosen Wurst, viel Rot- und Weißwein und Dauerbrot für Wochen an Bord.
Den russischen Begleitern spendete die Zeitschrift 4 gebrauchte LADA-Niva, damit sie uns gut „umsorgen“ konnten.
Ich hatte die Ehre, eines dieser Gefährte (ohne 3. Gang!) von München über Wien bis in die Ukraine zu fahren. Das war schonmal ein kleines Abenteuer für sich.
Die vielen Reisenden setzten sich aus allen Querschnitten unserer Gesellschaft zusammen. Der jüngste Teilnehmer war gerade 14 und der älteste fast 70 Jahre jung. Diese schliefen alle in ihren eigenen Zelten oder in den Autos, sodass wir als Orga damit keine Arbeit hatten.
Alle Reisenden und Helfer hatten eine prima Zeit und bekamen fast 4 Wochen lang das Grinsen nicht aus dem Gesicht.

Grenze Ushgorod

Die Route führte vom slowakisch-ukrainischen Grenzort Ushgorod durch die Karpaten in die Ukraine nach Odessa und Jalta auf der (damals noch ukrainischen) Krim. Dort war ein Ruhetag angesagt, an dem wir abends zu Gast im ehemaligen sowjetischen VIP-Gasthaus einkehren durften.
Von der Krim nach Russland existierte damals noch keine Brücke, sodass wir mit der Fähre in Richtung Osten übersetzen mussten.
Dort begann nun ein echter Off-Road-Trail über den West-Karpaten-Pass. Da die Gruppe in zwei „Klassen“ aufgeteilt war und ich als Helfer immer zuerst abends vor Ort sein musste, konnte ich leider „nur“ die „seichte“ Route nehmen. Die „Harten“ durften ihre Off-Road-Erfahrungen abseits des offiziellen Trails erweitern und kamen dann auch „etwas“ später im Camp am Fuße vom Kaukasus an.
Aber auch wir Softies hatten ganz viel Spaß auf „unserer“ Piste.



Am folgenden Ruhetag im höchsten Gebirge Europas genossen einige Teams die Zeit zum Ausspannen und für „Putz-und-Flick-Arbeiten“. Schließlich sind die ersten paar tausend Kilometer weder an uns noch an den Fahrzeugen spurlos vorübergegangen.



Einige Mutige wollten allerdings „Höhe“ machen und so gingen wir auf die Suche nach befahrbaren Pisten in Richtung Elbrus. Kartenmaterial gab es ebenso wenig, wie GPS-Koordinaten, sodass wir nur auf Sicht unterwegs waren. Diverse Versuche führten zwar in tolle Landschaften, aber leider auch nur in Sackgassen.



Nach vielen Stunden Sucherei fanden wir endliche eine Piste, die uns stetig höher und höher und näher an den höchsten Berg Europas brachte. Diese war allerdings nicht für Rad-Fahrzeuge gedacht. So staunten die Leute aus dem Pik-Terskol–Observatorium nicht schlecht, als circa 12 Fahrzeuge bei ihnen auftauchten. Das Observatorium liegt auf 3.100 Metern Höhe an der Ostflanke des Elbrus und wurde bis dahin lediglich mit Kettenfahrzeugen erreicht. Wir fuhren aber noch ein Stück weiter hinauf, wo der Ausflug dann schlussendlich an einem Schneefeld endete.



Der Ausblick auf das Erreichte und die unglaubliche Berglandschaft des Kaukasus war unbeschreiblich, sodass ich das wohl auf ewig gespeichert habe.
Am nächsten Tag ging es dann durch die unwirtliche Kalmücken-Steppe in Richtung Kaspisches Meer. Hier konnten die TATRA-LKW mal so richtig zeigen, was sie leisten können. Mit 130 km/h durch teils wüstenähnliche Landschaften und über 2 Meter breite Gräben ohne zu Bremsen, da fühlten sich die Fahrer richtig wohl. Allerdings ist die Gegend auch ziemlich geschädigt. Hier wurde seit Ewigkeiten Öl gefördert, ohne Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen. Auch diverse Atomtests sollen hier stattgefunden haben. Dadurch ist es hier an vielen Stellen „nicht schön“. Auf dem Abstecher zu einem in der Nähe glitzerndem See durften auch wir mit diesen Umweltsünden Bekanntschaft machen. Das von weitem prima aussehende Ufer entpuppte sich als Sumpf aus Sand und Öl, wo nur eine ganz kleine Deckschicht belastbar war. So dauerte es nicht lange, bis sich die ersten Fahrzeuge ziemlich festgefahren hatten. Auch zwei TATRA steckten bis über die Achsen im Schlamm fest.



Nach vielen Stunden Schufterei und unter Einsatz eines Raupenschleppers konnten wir dann endlich auch den letzten Truck aus der Pampe ziehen.
(Bei einer ähnlichen Tour der Veranstalter versanken übrigens zwei Raupen und ein Bagger bei einer Bergeaktion im Triebsand der Wüste Gobi in China!)



Von der Kalmücken-Steppe aus waren es dann nur noch wenige Stunden Fahrt auf Schotterpisten bis nach Astrachan am Kaspischen Meer. Von diesem Meer waren allerdings nur ein paar auf der Seite liegenden Boote und Schiffe im Steppensand sichtbar. Die Natur bzw. die Menschen sorgen seit langem für einen extremen Rückgang des Wasserspiegels, sodass sich die ehemaligen Küstenorte längst im Landesinneren befinden.
Astrachan war dann auch der Wendepunkt der großartigen Tour. Nach etwas „Stress“ um „geldwerte Vorteile unserer russischen Begleiter führte uns der Weg nun entlang der Wolga nach Wolgograd und später nach Nishni-Nowgorod.
Da ich aber schon ziemlich geschlaucht war, sind diese tausende Kilometer größtenteils an mir „vorbeigegangen“. Das mag vielleicht auch am guten Wodka gelegen haben, den mir die Russen freundlichster Weise spendierten und den ich natürlich nicht ausschlagen durfte.
In Moskau legten wir noch einen Ruhetag ein und konnten ein wenig diese riesige Stadt erkunden, bevor wir einen Abend einen „russischen Abend“ in einem bekannten VIP-Lokal genießen durften. Der Rote Platz und seine Umgebung sind mir aber dann doch im Gedächtnis hängen geblieben.



Auf dem Weg nach St. Petersburg legten wir dann noch eine regnerische Off-Road-Sektion in den Waldai-Höhen ein.
Ohne Kartenmaterial und GPS-Navigation sind wir da allerdings recht bald im bodenlosen Matsch versunken. Darum brachen wir den Versuch ab, quer durchs Gebüsch nach St. Petersburg zu gelangen.



Auf schmalen Waldwegen schlugen wir uns wieder zurück zur Autobahn und erreichten auf dieser dann am späten Abend das Ziel an der Ostseeküste.



Eine coole Luxusfähre transportierte uns dann über die herbstliche Ostsee innerhalb zwei Tagen bis nach Kiel.
Hier holte mich mein Bruderherz dann ab, und ich brauchte zwei Tage, um wieder einigermaßen nüchtern zu werden und zwei Wochen, um mich von den Anstrengungen der Tour zu erholen.
Trotzdem möchte ich keine Minute und keinen Kilometer der Reise missen.
Es war eine großartige Erfahrung, die leider heute sicherlich nicht mehr so machbar ist.
Vielen Dank an alle Mitreisenden und vor allem an Joseph, der mich 4 Wochen ertragen hat 🤗

Am Elbrus

1 Kommentar zu „OFF-ROAD: GUS 1993“

  1. Pingback: Nordpol – oder nicht – Chico on Tour

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